Treck der Bouquetins

IMBERT

Treck der Bouquetins

 
 

 

 

Imbert wird zu einem Todesfall in den östlichen Cottischen Alpen gerufen.
Dort wurde eine einzelne Person in einer großen Blutlache liegend aufgefunden. Da der Mord nahe der italienischen Grenze stattfand, schaltet Imbert einen befreundeten Kommissar aus Cuneo mit ein. Der Fall entwickelt sich schnell zu einem Drogenszenario mit unerwarteten Akteuren.

Ein Drogentrail quer durch die französisch-italienische Grenzregion. Ausgeführt von Steinböcken.
Imbert geht allen Spuren nach und lernt dabei Mahalia van Halen kennen. Er gerät bei seinen Untersuchungen in einen Gewissenskonflikt mit Romy. Bockig setzt er sich wiederholt über die Verbote von Präfekt Norac hinweg.

Die weiteren Untersuchungen führen in die Vororte von Marseille, wo es zu einem ersten Showdown in einer alten Eisenbahninstandhaltungshalle kommt. Kaum davon erholt, wird das Team an seinem Einsatzlager in den Bergen von Terroristen überfallen. Oder sind es informelle Mitarbeiter einer staatlichen Stelle? Doch diese haben nicht mit Marc delaCruz gerechnet, der in diesem zweiten Showdown das Team rettet.

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Leseprobe I

Humanismus
Tag 4, 2 Uhr morgens
Imbert hatte immer gedacht, der Humanismus sei das Allheilmittel für jedwede Form von Lebenskonfrontation. Sozusagen die Wunderwaffe jenseits von indoktrinierenden, glaubensbasierten Lösungen. Sein Glaube an den Humanismus, in Früh-Gestalt des Francesco Petrarca, Marsilio Ficinos, später Rudolf Agricolas, in den künstlerischen Werken von Leonardo da Vinci und in der Gestalt von Erasmus von Rotterdam – all dies waren formende Wegbegleiter seines persönlichen Lebens gewesen. Er hatte sich schon früh, zu Beginn der Abschlachtereien des angeblichen ‹Islamischen Staats› in Syrien, selbst mit dieser Frage konfrontiert. Und sinnhaftig kapituliert. Denn sein bisheriges Wertgefüge ließ keine passende Antwort zu. Es gab keine moderate Lösung.

Wenn im Tschad oder in Nigeria die Regierungen auf Unterstützung von Söldnern, ehemaligen Angolakämpfern, Apartheitskämpfern und Söldnern von Executive Outcomes zurückgriffen, nur um die massenhaften Übergriffe der Boko Haram einzudämmen, dann hatten sie seine volle Zustimmung. Wer einmal das Leid gesehen hatte, welches durch den Boko Haram wie ein Buschfeuer durch diese Region getragen wurde, der würde jedwede Eindämmung von Massenvergewaltigungen, Genoziden und brutaler Folterung gutheißen.
Aber war er ein Ritter in der Verteidigung der Werte seines westlichen Kulturkreises? Hatte er das Recht zu urteilen? Oder handelte es sich vielleicht sogar um existentielle Notwehr? Im großen Kontext einer glaubensbasierten Auseinandersetzung zwischen radikalem Islam und den Werten des Okzidents?

Imbert hatte sich damit sehr bewusst aus der Komfortzone seines bisherigen beruflichen Lebens herausbewegt. Und er würde sich wohl nicht so schnell zurückbewegen können. Dafür standen die Zeichen der transnationalen Konflikte zu schlecht.
Seine Gedanken schweiften. Zwischen diesen existentiellen Gedanken; und dem Wohlfühlgefühl, ausgelöst durch die wunderbare Frau an seiner Seite; zu seinen Eltern, denen er einen Rückruf versprochen hatte; zu Lia Ancateau, die ihn tief in sich selbst erwischt hatte. Zu seinen Tieren, die seit Tagen zwar Futter, aber keine Zuwendung bekamen. Imbert kämpfte mit sich selbst. Er würde unbedingt schlafen müssen. Konnte aber nicht. Also begann er – ein bei ihm bewährtes Mittel – im Kopf alphabetisch Frauennamen aufzusagen. Je Anfangsbuchstabe mindestens 20. Bei ‘D’ fiel er in einen tiefen Schlaf.

Leseprobe II

La France Bourgeoise
Einige Monate zuvor
Dieser besagte Abend war tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Sozusagen unauslöschlich. Imbert hätte den Abend über genau so gut auch als Privatober für seine Tischdame rechter Hand verbringen können. Es war für ihn unvorstellbar, wie viel diese Dame – ohne annähernd betrunken zu wirken – zu sich nehmen konnte. Angefangen mit diversen St. Raphael im großen Salon des Hôtel de Brienne, war Madame während der zwei Vorspeisen auf einen – wie er zugeben musste – ausgezeichneten Aligoté gewechselt und hatte auch ganz ungeniert nach dem vierten Glas nach einer weiteren Flasche gewinkt. Während des mehr als zweistündigen Hauptgangs hatte er weiterhin aus direkter Nähe beobachten können, wie sie abwechselnd einen Grand Cru aus der Côte de Nuits gegen einen Bourgogne Grand Ordinaire getrunken hatte. Was diverse Flaschen schnell versiegen ließ. Im weiteren Verlauf des Abends war so leider nicht nur ihre verbale Etikette etwas gesunken, was sich peinlicherweise an Sätzen, wie ‹schön hierbleiben, Auguste! Muss mal Pinkeln gehen. Oder möchten Sie mitkommen?› festmachen ließ. La Ministre wechselte hernach auf großvolumige Whiskeygläser, sogenannte Tumbler, und ließ sich diese ungeniert mit russischem Vodka befüllen.
‹Hören Sie, Auguste! Wir wollen doch gute Zusammenarbeit mit den Russen? Da muss man doch äußerst genau wissen, was die da drüben trinken!›, war nur eine der ihm in Erinnerung gebliebenen Phrasen. Mit Ende des offiziellen Teils gegen Mitternacht hatte der Gastgeber, eben der amtierende Verteidigungsminister Frankreichs, ihn sorgenvoll angesehen und scharf gerügt.
«Imbert! Sie sollten auf Napoléon aufpassen! Wie konnte das nur passieren? Ich bin schockiert! Sorgen Sie dafür, dass Madame La Ministre ohne Probleme nachhause kommt. Und morgen früh Punkt 9 Uhr zur Kabinettssitzung wieder stocknüchtern ist!»

«Monsieur Le Ministre, ich …»
«Nix da, kümmern Sie sich!»

Imbert hatte also leicht angenervt der Fahrbereitschaft gewunken und die Ministerin in einem günstigen Moment eingehakt und auf den Rücksitz einer sehr komfortablen Citroën C6 Limousine verfrachtet. Kaum waren sie auf der Rue Saint Dominique, hatte Madame schon ihre hochhackigen High Heels ausgezogen und mit schriller Stimme nach weiterem Getränk gerufen. Das ging schließlich so weit, dass sie den Fahrer beim Durchfahren der Rue de Verneuil laut anwies, auf Höhe eines kleinen Restaurants anzuhalten. Imbert hatte protestieren wollen, aber ein wahrhaftig imperatives ‹Ich wohne um die Ecke, wir promenieren!›, hatte ihn schlagartig verstummen lassen. Kaum hatten sie den Wagen verlassen und Imbert dem Fahrer ein gutes Trinkgeld gegeben, war La Ministre barfuß in einer kleinen Bar gegenüber verschwunden. Imbert folgte ihr langsam. Kopfschüttelnd und mit sich ringend. Sie saß schon in einer der hinteren – intimeren – Ecken und hatte sich – endlich, aber entgegen allen Rauchbestimmungen in der Öffentlichkeit – ein Zigarillo angesteckt.
«Auguste, mein Liebster, Schatzi, kommen Sie doch bitte. Ich habe zwei kleine Cognac-chen bestellt.»
«Danach gehen wir?»
«Aber sicher, mein Lieber. Versprochen! Wirklich! Falls ich denn noch kann …»
Ungeniert zupfte sie an ihrem Dekolleté und nahm geschickt ihre mittelgroßen Brüste leicht schaukelnd in beide Hände.
«Hübsch?»
«Wir sollten sofort gehen!», Imbert nahm die Ministerin in den Arm mit einem Griff, dem sie nicht entweichen konnte. Ihr Protest endete in einem kleinen, aber langen Rülpser, was sie nicht daran hinderte, beide Cognacschwenker im Gehen leerzutrinken und auf der Theke abzustellen. Wenige hundert Meter weiter hatte er endlich ihre Adresse gefunden und gehofft, dass dieser peinliche Abend seinem Ende entgegenging. Aber weit gefehlt.
«Imbert, dritter Stock. Kein Aufzug. Helfen Sie mir – bitte.»
Die drei um das Haus postierten Sicherheitsbeamten der Garde Nationale hatten ihn nur lächelnd angeschaut, einer hatte schelmisch den Daumen hochgereckt. Also hinauf durch die schmale Stiege. Mehrfach musste Imbert seine Dienstherrin am sprichwörtlichen Hintern anfassen, wenn sie Stufen verpasste oder sich einfach nach hinten zurückfallen ließ. Irgendwann oben angekommen übernahm ein nunmehr völlig angenervter und leicht außer Atem stehender Imbert das Kommando.
«So, Frau Minister: Zwei doppelte Café und sofort kalt duschen. Oder erst duschen und dann Kaffee?»
Sie verschwand leicht torkelnd, aber wort- und widerspruchslos, im Bad. Endlich. Ruhe. Imbert sammelte sich, schaute sich interessiert um. Eine kleine adrette Wohnung; Salon, Arbeitszimmer, Gästezimmer, Schlafzimmer, Küche und Bad, alles sehr geschmackvoll ausgestattet. Dass alles im Herzen von Paris sündhaft teuer war, war zu erwarten gewesen. Aber hier war auch ein sehr guter Geschmack en détail am Werk gewesen. Er blickte aus dem Fenster Richtung Nord-Osten. Über die Seine hinweg konnte man von hier mit einem herrlichen Blick die Pyramide des Louvre erkennen. Imbert sinnierte, seine Gedanken schwammen davon. Das Wochenende mit Romy. Sie war die Liebe seines Lebens. Alles, was er in einer Frau zu finden suchte. Und sie gab ihm das Gefühl, geliebt und verstanden zu sein. Was er tat, es fand in ihr zumindest Verständnis für seine Handlung, meistens aber liebevolle und herzliche Anerkennung und dann echte Unterstützung. Sie hatten ein ereignisreiches, wunderschönes Wochenende in der Metropole verbracht. Abrupt wurde er aus seinen privaten Träumen gerissen. Von hinten umarmten ihn zwei geschmeidige Hände. Fingerten in Richtung seines Beckens. Während er sofort abwehrtechnisch reagieren wollte, spürte er, dass diese Umarmung von einer Frau kam. Einer nackten Frau. Natürlich. Er hatte, ganz in Gedanken, nicht mitbekommen, wie Élodie aus dem Bad zurückgekommen war.
«Lass uns, liebster Auguste, doch etwas näher kommen. Viel näher. Oder willst Du jetzt etwa erst noch mit mir schick Essen gehen? Dem Protokoll entsprechend. Hatten wir doch schon. Sogar ein paar kleine Getränkchen. Darf ich Dich vielleicht sofort mit Liebe füttern? Na komm, Auguste, mach mir den kräftigen, harten Directeur! Erforsch mich! Fick mich durch. Nimm mich! Wie wäre es Dir lieber?»
Sie stolperte in Richtung Bett und fiel kopfüber hinein. Was irgendwie komisch wirkte. Imbert musste lächeln. Ihr, das musste er neidlos zugestehen, wohl geformter, straffer, nackter Po ragte als einziges aus dem sicherlich sündhaft teuren, seidenen Bettzeug. Für einen Moment, Imbert behauptete hinterher, es sei ein sehr kurzer Moment gewesen, kam in ihm der Gedanke auf, diesem Wunsch seiner Ministerin dienstbeflissen in aller Form nachzukommen. Er traf eine Entscheidung.
«Élodie, Sie ziehen sich jetzt sofort etwas an! Es gibt jetzt Kaffee! Dann werden Sie erneut – diesmal kalt – duschen. Kein weiterer Alkohol, keine Rauchwaren! Es reicht!»
Die Ministerin hatte sich daraufhin langsam im Bett umgedreht, die Schenkel arg zu weit offen für eine Dame der besseren Gesellschaft; sie hatte ihn angeschaut, und sofort folgend, er würde diese scharfzüngige Aussage sein Leben nicht vergessen, ein ‹bin ich Dir zu alt, du mieser kleiner Inspekteur? Hast Du Angst vor einer echten Frau? Kriegst ihn bei mir nicht hoch? Gefallen Dir meine Glocken nicht? Wer bist Du, dass Du mich ablehnst?›
Und, sich dabei eine Zigarette vom Nachttisch anzündend, weiter polemisierend und ganz offen ihr Geschlecht zeigend ‹wenn Du nicht sofort vor mir um Gnade bittest, dann ist Deine so genannte Karriere hier und heute zu Ende!›
Imbert hatte sie kurz intensiv angesehen, sich umgedreht, war wortlos aus dem Raum gegangen, hatte einen Wohnungsschlüssel genommen und hinter sich abgeschlossen. Er war in die Bar zurückgekehrt, die er dreißig Minuten vorher ohne zu Zahlen verlassen hatte. Er bestellte dort noch einen Café, zahlte großzügig und ließ ein Taxi rufen. Er war heimgefahren in sein Hotel, hatte knapp vier Stunden geschlafen, geduscht und sich einen frischen Anzug angezogen. Gegen 7:30h hatte er sich schlussendlich auf den Weg gemacht, seine Ministerin abzuholen. Er öffnete die Tür zu ihrer Wohnung, hörte Lärm in der Küche und klopfte dort an.
«Ah, mein kleiner Chauffeur! Welch unbändige Freude regt sich in mir. Hat er sich die Nacht über mit einer Jüngeren vergnügt?»
«Sie waren gestern Abend reichlich betrunken, Madame …»
«Ich entscheide, wann ich betrunken bin. Und ich entscheide, wer-wann-was-wie macht. Ich! Nicht Er.»
«Hätte ich mit Ihnen geschlafen, könnten und würden Sie es mir genauso zum Vorwurf machen …»
«Ach Imbert, sie Kleinstintellektueller; sie passen nicht nach Paris. Sie verstehen nicht, wie unsere Gesellschaft hier funktioniert. Bleiben Sie in Ihrem provinziellen Süden und halten Sie die Klappe – sonst mache ich Sie fertig!»