IMBERT
SNOW – Eine verführerische Lüge
Das Team der IGPN erhält ein Audit durch das Innenministerium in Person von Emma Najolet.
Es geht um ungeklärte Todesfälle in den Skigebieten, die von einer neuen Modedroge herrühren. Dazu gibt es einen großen Steuerbetrugsfall durch die Betreiber der Skipisten. Ein Mitarbeiter der Drogenbehörde nutzt sein intimes Verhältnis zur Präfektin aus, um die Drogen zu handeln. Imbert muss entscheiden, inwieweit er die Präfektin zur Rechenschaft zieht.
Nahezu zeitgleich entbindet Romy das Kind, welches von einer Vergewaltigung herrührt. Sie trennt sich von Imbert, gibt ihren Job auf und gibt das Neugeborene direkt nach der Geburt zur Adoption frei. Imbert geht einer Spur in Andorra nach und wird während dieser Untersuchungen Spielball einer politischen Gruppe, die ihn von Beginn an manipuliert und benutzt. Imbert setzt sich zur Wehr und nutzt sein Netzwerk, um herauszufinden, mit wem er es zu tun hat. Es handelt sich um eine sehr mächtige Fraktion, die digitale Infiltration auf höchster Staatsebene betreibt.
Romy lenkt ein und wird wieder Mitglied im Team. Sie und Imbert reisen nach Paris, um dort an der Aufklärung der Staatsintrige mitzuwirken, werden aber durch die neue Innenministerin Emma Najolet kaltgestellt. Die Geschehnisse machen auch vor hohen politischen Leitfiguren nicht halt. Imbert nimmt erneut Kontakt zu dieser anonymen Gruppe „staatstragender“ Personen Kontakt auf, nachdem Romy deren Computernetzwerk mit einem präparierten USB-Stick gehackt hat.
Schließlich gelingt es Imbert mit Hilfe des „Generals“ diese Gruppe unschädlich zu machen. Was bleiben, sind viele offene Fragen bezüglich der neuen Regierung in Paris.
amazon Kaufoptionen
Leseprobe I
Rape
Rückschau
«Auguste! Geronimo! Hilf mir!», die Verbindung brach unvermittelt ab. Imbert wischte sich die Finger, ölverschmiert von den Wartungsarbeiten an seinem alten Lancia Delta, ab, und zog schnell seinen ehemals blauen Werkstattoverall aus. Was war passiert? Ein Anruf von Romy am späten Abend, schluchzend, dann jäh unterbrochen. Keine Möglichkeit des Rückanrufs. Sie würde ihn nie so anrufen, wenn nicht etwas wirklich Schlimmes passiert war.
Geronimo. Das war ihr Zeichen in der Abteilung für absolute Not. Entstanden aus einem Zitat des Indianerhäuptlings Gokhlayeh, der damals sagte.
‹Sollte ich getötet werden, so braucht niemand um mich zu trauern. Meine Allernächsten sind dort ermordet worden, und auch ich bin, wenn es sein muss, bereit, dort zu sterben.›
Es war vereinbart, dieses Codewort nur in höchster Gefahr zu verwenden. Und Imbert reagierte jetzt nahezu automatisch. Sein erster Anruf, während er in seinen alten verbeulten Nissan GT-R sprang und ihn startete, galt Dremruz. Der nicht da war. Dafür ging aber Isabelle Mayeur ans Telefon.
«Isabelle. Keine Fragen! Lauf rüber zur Dienststelle und orte Romys Handy. Sofort! Schick die Koordinaten an mich und gib diese ebenfalls an die SAMU weiter. 15. Sofort eine Ambulance dorthin! Und dort auf mich warten!»* * *
SAMU, Service d’Aide Médicale Urgente, das war dieses Akronym einer sogenannten öffentlichen Gesundheitskontrolle; er konnte nur hoffen, dass diese am späten Abend einen SMUR, Service Mobile d’Urgence et Reanimation, einen Ambulanzwagen mit Notarzt schicken würden.
Imbert schaltete nach dem Telefonat brutal die Gänge des automatischen Getriebes händisch hoch und zwang den Wagen, seine beachtliche Höchstleistung abzugeben. Während er auf der N94 im weiten Tal der Avance auf weit mehr als 200 km/h beschleunigte, kam ein erster Anruf von Isabelle.
«Keine Koordinaten, Auguste. Aber das Telefon konnte aufgrund von Triangulierung des letzten Anrufs sicher und eindeutig in der Rue du Grenier d’Abondance geortet werden …»
«Stop die SAMU, ruf im CHICAS an und bitte sie, nein, fordere sie auf, den diensthabenden Arzt sofort dorthin zu beordern! Es sind nur wenige Meter. Ich bin in wenigen Minuten dort.»
Die Rue du Grenier d’Abondance lag sozusagen in Schrittweite vom Hospital CHICAS. Der Rettungswagen würde aber, aufgrund des diffizilen Einbahnstraßensystems einmal komplett um die gesamte Innenstadt fahren müssen. Und damit viel, vielleicht zu viel, Zeit verlieren.
Was war bloß geschehen? Imberts Herz schlug am Anschlag. Seine Sinne waren geschärft, während sein Herz bitterlich weinte. Hoffentlich war seiner Romy nichts Ernsthaftes passiert. Aber dann würde sie nicht das vereinbarte Codewort verwendet haben. Es war etwas Schlimmes passiert. So viel war klar.
Am Stadteingang von Gap, Imbert hatte die Strecke in weniger als der Hälfte der üblichen Zeit zurückgelegt, schaltete er schlagartig drei Gänge herunter, der 3.8 Liter V6 fauchte auf und stieß aufgrund der entstandenen Fehlzündungen eine lange lodernde Feuerflamme aus den vier Auspufftöpfen. Zwei Minuten später, rücksichtslos durch den Kreisverkehr an der Rue Carnot rasend, erreichte Imbert den Place aux Herbes, wo er den Wagen mit quietschenden Bremsen mitten auf der Straße abstellte. Imbert rannte über den Platz, die Stufen in der Rue du Grenier d’Abondance hoch. Und sah sie sofort.
Blutüberströmt. Am Eingang zum Hinterhof einer stillgelegten Pizzeria. Romy lag dort am Boden zwischen zwei großen Müllbehältern. Eine mittelgroße Wunde klaffte blutend an ihrer linken Stirn; die Bluse komplett aufgerissen, lagen ihre Flanellhose und der zerrissene Slip Meter weit entfernt. Sie blutete ebenfalls an der Innenseite ihrer Schenkel. Imbert tastete ihren Puls. Vorhanden und stabil. Dann vorsichtig ihren Brustkorb. Er atmete auf. Sie lebte. Er lebte. Nahezu automatisch zog er sein Poloshirt aus und bedeckte ihre wunde Scham, nahm sie zärtlich in den Arm und weinte. Bitterlich. Warum, warum um alles in dieser Welt kam alle Ungerechtigkeit auf die ihn umgebenden Menschen zu? Auf dem Trottoir wiederhallende Schritte ertönten hinter ihm. Ein Arzt im offenen weißen Kittel, heranschwebend wie ein Engel der Hoffnung, sowie zwei Helfer mit dem obligatorischen Notarztkoffer und einer Trage; Imberts Zeit stand scheinbar still. Diese Koinzidenz des heranfliegenden Engels in Gestalt eines Arztes erinnerte ihn an ein Gedicht von Nietzsche, welches er Wochen zuvor in einem Moment unsicherer Besinnung gelesen hatte.
Engel der Hoffnung…
Einsam durch den düsterblauen
nächt’gen Himmel seh› ich grelle
Blitze zucken an den Brauen
schwarzgewölbter Wolkenwelle.
Imbert atmete auf. Und tief durch. Er funktionierte wieder. Für einen Moment. Ohne nachzudenken. Instinktiv.
«Ohnmächtig, aber stabiler Puls. Romaine Magali Fresne-Saint-Mamès. 49 Jahre alt, hoher Fitnessgrad, sehr durchtrainiert, keinerlei Krankheiten, keine tägliche Tabletteneinnahme, wohnhaft oben in der Charance. Capitaine bei der IGPN.»
«Auguste, beruhigen Sie sich. Ich bin’s. Doktor Paul Remy. Ich kenne Romy. Wir kümmern uns jetzt.»
Während er sprach, trat Isabelle Mayeur zu ihnen. Sie schaute sich kurz um und forderte die umstehenden Pfleger sowie Remy und Imbert in unmissverständlichem Ton auf, zurückzutreten.
Leseprobe II
La Préfète
«Auguste, Danke für Dein Einverständnis, hierher zu kommen.»
«Was nichts, liebe Sido, an dem offiziellen und formellen Charakter unseres Gesprächs ändert.»
Imbert hatte während der Fahrt zur Präfektur den Veterinär wegen des ermordeten Alpakas angerufen, dann Strafanzeige im zuständigen Kommissariat erstattet und war jetzt im Büro der Präfektin. Sie tranken einen heißen Mokka und hatten sich an einem der langen Akazientische hingesetzt. Imbert hatte sein Smartphone auf dem Tisch hochkant an eine Zuckerdose gestellt, ausgerichtet und den Video-Recorder eingeschaltet.
«Befragung der Präfektin Dr. Albertine Sidonie de Machaut», Imbert nannte Datum und Uhrzeit, wie auch den formellen Text, das Einverständnis zu dieser Videoaufzeichnung erhalten und bestätigt bekommen zu haben. Europäischer Datenschutz war auch im entlegensten Teil Frankreichs angekommen.
«Madame la Préfète. Im Rahmen unserer Ermittlungen zu den Todesfällen auf den hiesigen Skipisten, haben wir weitere Nachforschungen zu den Hintergründen der einzelnen Opfer gemacht …»
«Nennt man das nicht einen Background-Check?»
«Ja, genau. In diesem Kontext sind uns Details aufgefallen, die wir mit Ihnen gerne detaillierter besprechen würden …»
Sein Smartphone summte und Imbert warf einen kurzen Blick darauf. Marc delaCruz mit einer wichtigen Nachricht. Die Präfektin sprach dennoch weiter.
«Als Präfektin bin ich nicht verpflichtet, auszusagen. Und erst Recht nicht, wenn ich mich damit selbst belasten würde. Nicht wahr?»
«Das ist mir bewusst. Und ich spreche momentan mit Ihnen kontextuell primär als Zeugin. Es läge mir zu diesem Zeitpunkt fern, Sie anders betrachten zu wollen …»
Imbert wurde erneut von ihr mitten im Satz unterbrochen. Was ihn komplett annervte. Seine Halsschlagader schwoll etwas an.
«Sie müssen verstehen …», begann die Präfektin forsch.
Imbert reagierte prompt.
«Nein. Ich führe hier eine normale, absolut übliche Befragung in einem Mordfall durch. Ich muss momentan noch rein gar nichts verstehen. Und ich kann Sie, sollten Sie tatsächlich eine Aussage verweigern, hochformell von der General-Staatsanwaltschaft vor den Untersuchungsausschuss des Senats bitten lassen. Was mir momentan noch absolut fernliegt, da es mir tatsächlich nur um die Verifizierung einer prekär anmutenden Faktenlage geht. Sie können gewiss sein in Bezug auf die Vertraulichkeit, mit der wir Ihre Aussage behandeln werden. Dies ist mein letztes Angebot!»
Die Präfektin machte eine unmissverständliche Handbewegung, den Recorder am Smartphone abzuschalten. Imbert zuckte leicht resigniert mit den Schultern und beendete die Videoaufnahme. Nicht, ohne nahezu zufällig und unauffällig eine reine Audioaufnahme zu starten.
«Auguste. Klartext! Worum geht es hier wirklich? Diese lächerliche Reise nach Guyana?»
«Ja. Korrekt. Wir haben dort Übereinstimmungen gefunden, die so mit einem Zufall nicht zu erklären sind. Ich würde jetzt gerne dazu ein paar Fragen stellen …»
«Ach, hör doch auf mit diesem Behörden-Schwachsinn. Ich war dort. Meine Freundin war dort. Sammy war dort. Ich habe sämtliche drei Flug-Tickets auf Präfekturkosten gebucht. Und auch die Spesen für alle drei intern abgerechnet. Na und?»
«Welcher Art war das Zusammensein?»
«Wie bitte? Das fragst Du? Du?», Albertine Sidonie de Machaut schüttelte mit großem Unverständnis den Kopf. Fuhr dann unwillig fort.
«Na gut, wenn es Dich etwas anmacht. Wir waren intim zusammen. Zu dritt. Sexuell. Sammy hat uns beide völlig angemacht. Seine fast macho-mäßige Art. Seine Ausdauer. Dieser Phallus.»
«War das Ganze nur sexuell oder auch …»
«Nur. Wir wollten alle drei das Gleiche. Und haben es bekommen. Und sind wieder nach Hause gefahren. Und sind wieder unserer unterschiedlichen Wege gegangen.»
«Keinerlei Gespräche über anstehende politische, verwaltungstechnische, sonstige berufliche …»
«Auguste! Wir fliegen nicht siebeneinhalbtausend Kilometer, um über den Job zu reden. Das war Abschalten pur. Sex. Getränke. Relaxen. Ficken. Tanzen. Massagen. Schlafen. Erneut Sex.»
«Hattest Du Deinen beruflichen Laptop dabei?»
«Ja. Natürlich. Wieso fragst Du?»
«Weil wir feststellen müssen, ob Sahmed Brahimi sich dazu Zugang verschafft hat. Zwischen Sex, Trinken, Tanzen und Schlafen. Und Massagen. Das Relaxen und Ficken nicht zu vergessen», Imberts Stimme war jetzt schneidend geworden.
«Welchen Verdacht habt ihr denn?», de Machauts Stimme war tatsächlich eine Spur unsicher geworden.
«Kann ich Dir leider nicht sagen. Aber ich versuche gerade, Dir den sprichwörtlichen Hintern zu retten.»
Die Präfektin schaute ihn mit großen Augen an. Langsam schien sie zu verstehen, wie sehr sie dieses erholungsmäßige Tête-à-Tête in eine schwierige Situation gebracht hatte.
«Ok, ich verstehe. Nähmen wir mal an, ich hätte den Laptop irgendwie verloren …»
«Sido. Bitte!»
«Na gut. Habe ich nicht. Sammy fragte mich an einem Abend, ob er seiner kleinen Tochter eine Mail zum Geburtstag schicken können. Ich sagte ja. Gab ihm meinen Laptop. Hab den Fingerabdruck zum Login geleistet und ihn daran arbeiten lassen.»
Imbert schüttelte fassungslos den Kopf. Jetzt erklärten sich einige der Fragen, die im Zusammenhang des Background-Checks von Sahmed Brahimi aufgetreten waren. Wo Licht, da ist auch Schatten. Auch dieser hochdekorierte Mitarbeiter des französischen Staats hatte tiefdunkle Wolken erzeugt, die jetzt einen scheinbar undurchdringlichen Schatten warfen.
Imbert traf eine schwierige Entscheidung.
«Marc delaCruz wird gleich vorbeikommen und den Laptop mitnehmen. Du benutzt ihn bitte ab sofort nicht mehr. Fang nicht an, irgendwas zu löschen. Wir entdecken das in jedem Fall. Ich versuche zu retten, was zu retten ist.»
Ob er damit die Situation oder nur den Laptop meinte, blieb ungewiss; Imbert stand schnell auf, nahm sein Handy und ging zur Tür, drehte sich doch noch um und schaute offen in das verzweifelte Gesicht seiner Präfektin.
«Noch eine Frage. Hast Du Sahmed Brahimi später erneut für Deine Wünsche …»
«Ja. Klar. Er war ein guter Ausgleich für all den Stress hier.»
«Ein Ausgleich? Na gut. Ich brauche eine Übersicht dieser Stress-abbauenden Termine.»
Imbert schüttelte den Kopf. Was immer man ihm vorwerfen konnte mit Bezug auf zwischenmenschliche Versuche. Und da war vieles. Das hier hatte eine andere Klasse und Kategorie.
«Auguste. Wirst Du mich ans Messer liefern? Dir ist klar. Dann ist meine Karriere vorbei!»
«Ich kläre einen Mordfall auf. Und habe keine anderen Interessen.»
«Kannst Du mich vielleicht komplett …»
Imbert schaute sie an. Für einen langen Moment. Schüttelte erneut den Kopf.
«Brahimi hatte keine kleine Tochter», er öffnete die Tür und ging die Treppe hinunter. Zweifelnd und sich selbst fragend, ob sein konsequentes Verhalten ihm oder ihr das Genick brechen würde.